Cuxhavener Geschichten, Gedichte und Meer

2023

Margit Steinert

Die misslungene Heldentat


Aus: „Frische Grüße aus Cuxhaven“,

Textauszug ab Seite 22, Leseprobe

Ein herrlicher Sommertag mitten im Juni. Zwei Stunden vor Hochwasser will ich in der Grimmershörnbucht in die Fluten springen. Ich schnappe mir das Fahrrad, die 400 Meter bis zum Meer bewältige ich mit einem Sprint über den etwas steil ansteigenden Deich.

Schon auf dem Prinzessinnentrift dröhnt ein lautes Weinen an meine Ohren. Ein kleiner Junge in leuchtend roter Badehose, vielleicht fünf Jahre alt, hat seinen Ball ins Wasser katapultiert. Herzzerreißend jammert er seinem Spielzeug hinterher. Der Papa nimmt allen Mut zusammen, klettert über die Steine ins Wasser. Die Treppe, nur wenige Meter links von ihm, muss er übersehen haben. Das kalte Wasser – oder sind es scharfe Kanten? – lassen ihn aufseufzen. Er greift nach dem Ball – doch der ist schon wieder weg. Der ablandige Wind kennt kein Erbarmen. Oder hat den Ball die Sehnsucht nach der großen weiten Welt gepackt?

Da mir Kinderweinen nun mal bis ins Mark geht, verspreche ich, den Ball zurückzubringen. Falls es mir gelingt! Natürlich ohne jede Garantie!

Die Mutter: „Nein, nein, das brauchen Sie nicht!“

Der Vater: „Wir kaufen gleich einen neuen Ball!“

Die Eltern versuchen, ihren Sohn zu trösten. Doch er scheint untröstlich zu sein.

Aber ich weiß, dass dieser Ball für ihn einmalig ist – so sehen es die Kinder. Und für einen Jungen ist der begehrte Ball wie ein geliebtes Kuscheltier. Also hinterher!

Doch der Ball scheint etwas gegen mich zu haben. Der Abstand verringert sich zwar, fast ist er in greifbarer Nähe. Ich schwimme eine Kurve und will ihn von hinten erreichen. Mit einem erneuten Windstoß hoppelt das widerspenstige Ding davon. Es ist ein ungleicher Kampf, der Wind gegen mich und meinen Ehrgeiz. Schließlich kapituliere ich, zumal mein Zeitplan ins Wanken gerät. Meine Enkelkinder müssen zum Flötenunterricht gebracht werden. Also umkehren!

Beim Schwimmen behalte ich meine Position im Blick: Die Kugelbake liegt etwa im 30-Grad-Winkel links hinter mir, der Wattboden ist zu sehen, die Fahrrinne noch weit entfernt. Keine Gefahr.

Doch bei meiner Rücktour höre ich plötzlich das Martinshorn. Mehrere Autos fahren auf die Mitte der Bucht zu, rote Autos, weiße Autos, und das Rettungsboot der DLRG sehe ich in Richtung Kugelbake fahren.

 

Was in der Bucht los ist und ob unserer heldenhaften Schwimmerin Gefahr droht, erfahren Sie ab Seite 23 in „Frische Grüße aus Cuxhaven“.

2023

Gisela Kahn

Ein Brief ans Meer


Aus: „Frische Grüße aus Cuxhaven“,

Textauszug ab Seite 19, Leseprobe

Liebes Meer! 
Wenn du wüsstest, wie oft ich an dich denke! Du gehst mir nicht mehr aus dem Kopf, wenn ich aufwache, tagsüber, abends, morgens, einfach sehr oft. Warum? Das versuche ich mal zu ergründen und zu erklären.
Warum schaue ich so gerne auf dich? Warum mag ich dich so? Weil du so weich bist? Ist Wasser weich? Es kann auch salzig sein, ja. Am liebsten würde ich in dich eintauchen, um dich überall zu spüren.

Immer, wenn mein Sohn zu Besuch nach Cuxhaven kommt, gehen wir zu dir – zum Meer – und begrüßen dich mit einem Schluck Sekt oder auch mehreren. Meistens während der Dämmerung. Die Sonne versinkt ganz weit links am Horizont, im Westen. Ein Farbspiel entsteht, faszinierend zu beobachten. Glitzernd, als wären Sternchen in dich hineingefallen, wenn die Sonne ganz untergeht. Die Farben changieren. Die Gelbtöne verwandeln sich in Rottöne. Sie sind kaum zu beschreiben und mischen sich bei Ebbe in den Wasserpfützen im Watt, dann werden die Töne immer dunkler und schließlich fast schwarz.

Bei Flut ist das nicht ganz so spektakulär. Aber dann ist Bewegung in dir: Die Wellen schaukeln und wiegen sich hin und her und veranlassen mich zu weiteren Träumen. Am Ufer, am Strand, gluckst und gurgelt das Wasser, wenn du Muscheln und Sand hin und her schiebst.

Wenn du, Meer, total unruhig bist, weil es stürmt, ist alles grau, oft dunkelgrau. Dort, wo die Wellen sich brechen, manchmal brutal und zerstörend, entsteht die schäumende Gischt. Die Schaumkronen sind weiß. Ein wunderbarer Kontrast.

Wie viele Menschen gibt es auf der Welt – und wie viele mögen dich, du nimmer endendes Meer? Du kannst brutal sein, aber dennoch bist du auch weich. Bist du die Ursache für diese chaotische Welt? Aus dir entstand das Leben.

Lassen Sie sich von diesem persönlichen Brief an eine ganz große Adresse einfach mitreißen … Meer ab Seite 20 in „Frische Grüße aus Cuxhaven“.

2023

Susanne Gerdes

Ich kann hier

nicht weg ...


Aus: „Frische Grüße aus Cuxhaven“,

Textauszug ab Seite 63, Leseprobe

Ich kann hier nicht weg – die Hagebutten sind reif!

Auf dem Küstenradweg von Sahlenburg nach Duhnen fällt es mir auf: Die vor Kurzem noch einen unvergleichlichen Duft ausströmenden Heckenrosen sind zu Hagebutten geworden, orange, rot, prall, saftig und kernig! Das bedeutet auch, dass der Sommer in vollem Gange ist, eher schon seinem Ende zugeht, und das wiederum heißt, dass wir uns ranhalten müssen, die vitaminreichen Früchte abzupflücken, zu entkernen und das Fruchtfleisch zu genießen. Eine mühevolle Arbeit, aber was tut man nicht alles für die Gesundheit!

Diese genussvolle Tätigkeit macht mir einmal mehr klar: Ich kann hier nicht weg!

Ich steige vom Fahrrad und suche mir noch blühende Heckenrosen, um den Duft tief einzuatmen. Würde ich ihn doch gerne so abspeichern, dass ich ihn auch im Winter abrufen könnte! Als erste Maßnahme beschließe ich, in unserem Vorgarten eine Heckenrosenhecke anzupflanzen, damit ich nur vor die Haustür treten muss, um eine Prise Duft einzuatmen. Wie vitaminhaltig die Früchte sind, lernte ich erst von einer Sportsfreundin, die irgendwann anfing, die Früchte von wild wachsenden Hecken zu ernten und mühsam das Fruchtfleisch von den Kernen zu trennen.

„Mehr Vitamin C kannst du nicht zu dir nehmen! Die Früchte sind pure Gesundheit!“

So nach und nach steckte sie die ganze Sportgruppe mit ihrer Sammelwut an und wurde nicht müde, die Vorzüge anzupreisen, bis sie spaßeshalber schon „Frau Doktor“ genannt wurde.

Längst vergangen sind die Zeiten, als uns die älteren Jungs die Kerne in den Nacken steckten, was einen heftigen Juckreiz hervorrief – die Samen mussten dann schnellstmöglich aus der Kleidung entfernt werden.

Jetzt kenne ich alle Stadien der Reifung und muss mich beeilen, sie im richtigen Moment zu ernten, denn es ist nur eine kurze Zeitspanne, bis sie schrumpeln und nicht mehr genießbar sind. Das heißt, dass ich im August hier nicht wegkann!


Ich kann hier nicht weg – ich kann mein Häuschen nicht alleinlassen!

Seit nunmehr vier Jahren reizt es mich überhaupt nicht mehr zu verreisen. Im Jahr 2018 waren es noch zwei Flugreisen und eine Wanderreise, wo ich mich immer wieder dabei ertappte, voller Sehnsucht auf Live-Webcams zu gucken, um die Wetter- und Strandlage in Duhnen auch in über 1000 Kilometer Entfernung zu verfolgen. Dazu kam noch das große Bedauern über verpasste kulturelle Veranstaltungen.

Ich beschloss, im Jahr 2019 auf Reisen ganz zu verzichten, und das wurde ein voller Erfolg. Ein wunderbarer Sommer mit vielen Unternehmungen und Events ließen die Zeit wie im Flug vergehen – und selbst im Winter kamen keine Langeweile und Leerlauf auf, denn nun hatte ich meine festen Gruppen für Verabredungen, meine Schreibgruppe, den Freizeittreff und die Walkinggruppen.

Das lässt sich doch nächstes Jahr so fortsetzen, dachte ich bei mir, nicht ahnend, dass das Reisen aufgrund der Pandemie ohnehin ausfallen musste. Ich vermisste immer noch nichts und fand es an der Nordsee im menschenleeren Duhnen selbst während des Lockdowns faszinierend. Wir waren sehr erfinderisch – ausgestattet mit Getränken, Knabbereien und Anglerstühlen – in Ermangelung von Imbissen und Restaurants mit zwei Haushalten einen angenehmen Abend am Strand zu verbringen und die Ruhe zu genießen.

Inzwischen ist das Reisen wieder möglich, und viele sind geradezu in einem Nachholfieber, weil sie so lange verzichten mussten. Viele? Ja, aber nicht alle! Ich genieße jeden Tag in meinem gemütlichen Häuschen, das genau alle Zwecke erfüllt, die für mich zum Wohlfühlen nötig sind.


Welche weiteren guten Gründe das Wegfahren verhindern, erfahren Sie ab Seite 66 in „Frische Grüße aus Cuxhaven“.

2023

Angelika Ehrmann

Im Watt


Aus: „Frische Grüße aus Cuxhaven“,

Textauszug ab Seite 14, Leseprobe

„Nun beeil dich doch mal!“ Gabi war schon ganz ungeduldig. Sie wollte endlich an den Strand und konnte gar nicht verstehen, warum ihre Freundin Katja so ewig lange brauchte, bis sie die Strandtasche gepackt hatte.

„Bin ja schon fertig“, meinte diese, nahm mit Schwung die Tasche vom Stuhl und ging zur Tür der Ferienwohnung, die die beiden in Sahlenburg für eine Woche gemietet hatten.

Sie waren das erste Mal an der Nordsee und freuten sich auf ein paar unbeschwerte freie Tage am Wattenmeer.

Gabi rollte mit den Augen und rief: „Na, endlich! Ich freue mich schon so auf das Meer.“

Auf der Straße zum Strand herrschte munteres Treiben. Viele zog es an diesem sonnigen Wochenende an die Nordsee, um sich ein paar schöne Stunden an der Küste zu gönnen. Die beiden Frauen gingen die Straße hoch zum Strandzugang, dort, wo auch die Wattwagenfahrten zur Insel Neuwerk starteten. „Ich kann das Meer schon riechen“, freute sich Gabi. Sie spürte ein Kribbeln im Bauch, fast so, als wenn sie ein Blind Date hätte. Dann waren sie auch schon am Strand angekommen und zeigten noch schnell ihre Kurkarten vor. Sie zogen ihre Schuhe aus und liefen durch den weichen weißen Sand zu ihrem angemieteten Strandkorb.

Was für ein herrliches Durcheinander und Stimmengewirr von herumtobenden Kindern, sportlichen Typen, die Ball miteinander spielten, kleinen Grüppchen, die sich zusammengefunden hatten, um am Strand zu feiern, und Menschen, die sich in der Sonne aalten!

„Ach, ist das schön hier!“, meinte nun auch Katja.

Es war gerade Ebbe und so wollten sich die Freundinnen gleich auf den Weg ins Watt machen.

„Ist das nicht irre, wir laufen gerade auf dem Meeresgrund herum. Schau mal, was es hier alles zu entdecken gibt!“, rief Gabi lachend und zeigte auf die vielen Muscheln und kleinen Häufchen, die die Wattwürmer hinterlassen hatten.

„Herrlich! Komm, lass uns mal da an den Büschen entlanglaufen“, schlug Katja vor.

„Büschen!“, kam es etwas vorwurfsvoll aus Gabi heraus. „Das sind Pricken, die markieren den Fahrweg der Wattwagen, damit diese den sicheren Weg nach Neuwerk finden.“

„Ach, du kleine Klugscheißerin, das weiß ich doch“, stieß Katja hervor. „Dann mal los!“

Sie genossen den leichten Seewind, der bei diesem warmen Wetter für eine angenehm kühle Frische sorgte, sammelten Muscheln auf, die sie unterwegs fanden, und hörten die Möwen über sich kreischen.

„Guck mal, diese großen Pfützen hier – und wie schön warm das Wasser darin ist“, freute sich Katja, die begeistert hineingestiegen war.

„Ja, die nennt man Priele“, erklärte Gabi und badete nun auch ihre Füße darin. Dabei merkten die zwei gar nicht, dass sie sich immer weiter vom Ufer entfernten.

„Du, ich glaube, wir sollten uns mal langsam auf den Rückweg machen“, meinte Katja schließlich. „Da hinten kann ich schon erkennen, dass das Wasser zurückkommt.“

Erst jetzt fiel ihnen auf, dass sie ganz allein auf weiter Strecke waren – die Menschen am Strand wirkten ziemlich klein.

„Oha! Ja, dann sollten wir uns mal ein wenig sputen“, bemerkte Gabi.

Dann liefen sie los. Langsam glomm ein wenig Angst in ihnen auf. Hoffentlich schafften sie es bis zum Eintreffen der Flut noch an den Strand! Unter ihren Füßen wurde der harte Sandboden langsam nass. Sie waren erstaunt und ein wenig entsetzt, wie schnell das Wasser zurückkam. Mittlerweile stand das Wasser bereits knöcheltief. Der Priel, den sie vorhin als angenehm erfrischend empfunden hatten, war schon richtig tief. Nur mit Mühe wateten sie hindurch. So langsam wurde den beiden Frauen bewusst, dass sie sich in einer mehr als unglücklichen Lage befanden.



Ob die Exkursion ins Watt ein glückliches Ende nahm, erfahren Sie ab Seite 17 in „Frische Grüße aus Cuxhaven“.

2023

Monika Ahlrichs

Seestück II


Aus: „Frische Grüße aus Cuxhaven“,

Textauszug ab Seite 94, Leseprobe

Im Jahr 1823 hat der Dichter Heinrich Heine während eines Cuxhaven-Aufenthalts das „Seestück“ geschrieben. Leider ist von diesem Gedicht nur die erste Strophe erhalten – man kann sie heute auf einer Tafel an der Alten Liebe nachlesen. Von Heines Versen (kursiv gedruckt) inspiriert, habe ich genau 200 Jahre später das Gedicht fortgeführt.


Am Werfte zu Kuxhaven
Da ist ein schöner Ort,
Der heißt „Die Alte Liebe“.
Die meinige ließ ich dort …


Auf dieser Alten Liebe,
Da standen wir zu zweit,
Hielten uns an den Händen.
Das ist Vergangenheit.

Wir schauten nach den Schiffen
Mit sehnsuchtsvollem Blick,
Die dort vorüberzogen,
Da schwante uns das Glück.

Da blühten unsre Träume
Vom Schippern um die Welt,
Denn mit den Schiffen reisten wir
Gedanklich ohne Geld.

Da zogen unsre Herzen
Im selben Takte los,
Untrennbar in die Zukunft,
Sie schien uns grenzenlos.




Wie es im „Seestück II“ weitergeht, erfahren Sie ab Seite 95 in „Frische Grüße aus Cuxhaven“.